Ursula Luschnig, seit 16 Jahren Ehe-, Familien- und Lebensberaterin bei uns und seit fast vier Jahren unsere Leiterin des Bereiches „Menschen in Krisen“, über Ängste und Familienkonflikte, die mit Corona stark zugenommen haben, über die Hilfe der Caritas und die Freude durch Gutscheine.
Wie spüren Sie in den Beratungsstellen die Pandemie?
Wir bemerken eine Zunahme von Familienkonflikten. Wenn beide Elternteile mit den Kindern auf engem Raum und ohne Garten zu Hause in Homeoffice und Homeschooling sind, liegen oft die Nerven blank. Es kommen aber auch immer mehr Menschen zu uns, weil sie unter massiven Ängsten, Depressionen und sonstigen Überforderungen leiden. Finanzielle Zukunftsängste sind ein großer Risikofaktor für die Entwicklung von psychischen Problemen.
Die Anfragen für Beratungen und Psychotherapien sind mit 20 Prozent stark gestiegen. Damit verlängert sich die Warteliste erheblich. Zurzeit haben wir 370 Menschen in unseren sechs Beratungsstellen in Kärnten, die auf einen Termin warten. Wir warten dringend auf eine Reaktion der Politik und auf eine rasche Erhöhung der Mittel, um den Menschen helfen zu können.
Was macht die Corona-Krise mit den Menschen?
Durch die Pandemie sind wir alle mit einer Situation konfrontiert, die wir in dieser Form noch nie erlebt haben. Vieles von dem, was uns sonst normal und selbstverständlich erschien, war und ist zum Teil nicht mehr möglich oder ist unsicher geworden. Es entsteht ein tiefes Gefühl der Unsicherheit. Situationen, die wir nicht vorhersehen und kontrollieren können, machen besonders Angst und setzen dem Körper und vor allem der Psyche zu.
Reagieren alle Menschen ähnlich auf diese Unsicherheiten?
Nein. Menschen sind sehr unterschiedlich und gehen unterschiedlich mit Stresssituationen um. Wenn sie schon vor Corona Probleme hatten, kommt jetzt noch einmal eine große Last hinzu. Wenn ich arbeitslos geworden bin und plötzlich massive finanzielle Einschränkungen habe, kommen Zukunftsängste hinzu. Wenn ich zu einer Risikogruppe gehöre, habe ich besonders große Angst, mich anzustecken und isoliere mich mehr als notwendig.
Was können Menschen tun, damit ihre Ängste nicht größer werden?
Idealerweise sich der Angst bewusstwerden und sich ihr stellen. Auch wenn es Einschränkungen gibt, ist vieles ist nach wie vor möglich. Wir können spazieren gehen, wir können mit unseren Freundinnen und Freunden telefonieren, wir können einkaufen gehen. Dabei kann man Krafttanken für scheinbar düstere Momente. Es geht darum, die Angst nicht übermächtig werden zu lassen. Sie wird nicht verstummen, aber das Vertrauen in das Schöne im Leben wird hörbarer. Und Vertrauen kann durch eine schöne Begegnung, ein gutes Buch, einen Sonnenstrahl, der mir auf mein Gesicht scheint, wieder geweckt werden.
Bemerken Sie eine Zunahme an Einsamkeit?
Ja, das bemerken wir sehr stark. Viele Menschen waren schon vor Corona einsam und hatten kaum soziale Kontakte. Die Krise hat diese Einsamkeit noch verstärkt. Viele
Möglichkeiten der Kontaktaufnahme sind jetzt weggefallen. Menschen, die schon vorher sehr belastet waren, leiden besonders durch die Maßnahmen.
Wie hilft die Caritas den Menschen?
Wir sind und waren immer für sie da. Wie hören ihnen aufmerksam zu, beraten sie, versuchen, mit den Menschen im Gespräch den Problemen auf den Grund zu gehen und helfen ihnen, Wege aus scheinbar festgefahrenen Situationen zu finden. Durch unser umfangreiches Angebot der Familien- und Lebensberatung, der TelefonSeelsorge, Eltern- und Männerberatung, Suchtberatung und Psychotherapie können wir Betroffene in jeder Lebenslage unterstützen. Wichtig wäre vor diesem Hintergrund, dass die Fördermittel dem enorm gestiegenen Bedarf an Beratungen angepasst werden, damit wir den Familien und allen hilfesuchenden Menschen die entsprechende Unterstützung schnell zukommen lassen können. Sonst besteht die Gefahr, dass psychische Probleme chronisch werden.
Ihr Weihnachtswunsch? Dass die Menschen wie im Sommer Gutscheine verschenken und so wunderbare Momente erlebbar machen?
Ich wünsche den Menschen, dass sie die Advent- und Weihnachtszeit für sich heuer neu entdecken. Auch diese Zeit können wir bewusst gestalten und kreative Möglichkeiten finden, unsere sozialen Kontakte zu leben. Das können wir auch tun, indem wir zum Beispiel im Rahmen der Aktion „Weihnachten in Teil-Land“ einen einsamen Menschen beschenken, an den sonst niemand denkt. Von unserer Aktion im Sommer weiß ich, wie leicht es sein kann, einem Menschen mit einem Gutschein einen Sonnenstrahl ins Herz zu zaubern. So war es für mich auch berührend zu erleben, wie sehr sich eine alleinerziehende Mutter mit wenig Geld über einen Gutschein gefreut hat, der es ihr ermöglicht hat, mit ihrer Tochter nach Ewigkeiten wieder einmal fein essen zu gehen.